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Musik als geistige Anschaung - Musik und Archetyp

 



Musik als spirituelle Perspektive – das klingt etwas verkopft, überintellektuell, abstrakt und substanzlos. Was ist mit Musik, die das Herz berührt, körperlich wirkt oder Musik „zerlegt“? Was ist mit Reggae, Folk, Dance, Rock, Punk, Pop usw.? 

Musik beginnt nicht im Kopf. Sie beginnt im Fleisch. Im rhythmischen Stoß des Herzens. Im Schrei des Neugeborenen. In der Trommel vor der Schlacht. Im Heulen des Wolfes. Und doch entsteht aus diesem ursprünglichen Tierschrei etwas, das dem menschlichen Bild Gestalt verleiht. Nicht durch Konzepte. Sondern durch Formen. 

Musik verkörpert Archetypen, bevor sie verstanden werden. Sie malt keine Bilder – sie formt innere Räume. Dort begegnen wir ihnen: der Großen Mutter – im Wiegenlied, dem Krieger – im Marsch, dem Liebenden – in der Klage, dem Betrüger – im Jazz, dem alten Weisen – in der Fuge. Diese Figuren sind nicht erfunden. Sie tauchen auf – immer wieder. Musik ruft sie hervor, als innere Bewegungen. Sie berührt nicht nur das Ohr. Sie berührt die Erinnerung der Menschheit.

In meiner Kompositionsreihe „Moon Above“ versuche ich, diese Bewegung hörbar zu machen. Jedes Stück ist die Verdichtung eines archetypischen Raumes. Einige Beispiele: Mond über Gaza: Der Schatten des Krieges. Zwei Hymnen prallen aufeinander – die israelische, die palästinensische. Und darunter der Ruf nach einer versöhnlichen Stimme. Es ist die Figur des verwundeten Mannes, der nicht länger hassen will. Mond über Tithwal: Die Grenze zwischen Indien und Pakistan. Ein Mond über der Kontrolllinie. Violine, Shakuhachi, Tabla – Klänge zwischen Zärtlichkeit und Wunden. Der Archetyp der Getrennten – der Sehnsucht. Mond über Ulaanbaatar: Steppe, Kälte, Wind. Kein Ort, sondern ein Riss. Der Schamane erscheint – nicht als Heiler, sondern als Störung.

 Ein musikalischer Archetyp des Anderen, des Nicht-Integrierbaren, der das System sprengt. Mond über Shakti: Der weibliche Pol. Nicht als Ergänzung zum Männlichen – sondern als Ursprung. Hier wird Musik zu einer körperlich-spirituellen Intuition von Geburt, Tanz, Ekstase und Zerstörung. Shakti ist keine Begleiterin. Sie ist das Feld selbst, in dem alles entsteht. 

Diese Musik ist keine Beschreibung. Sie ist eine spirituelle Kontemplation durch Klang. Eine Durchquerung von Landschaften, die nicht außerhalb – sondern im Innersten der menschlichen Existenz liegen. Musik, so verstanden, ist nicht nur Kunst – sie ist Initiation.



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