"Gott und die Ratten' Norbert Ammermann Im Dreck, im Staub, im Tempel der Ratten - Ein Essay über das göttliche Unerwartete Ich stand barfuß im Tempel – nicht aus Mut, sondern weil es erwartet wurde. Karni Mata, irgendwo in Rajasthan. Um mich herum: Hunderte, vielleicht tausend Ratten. Manche fraßen, manche lagen still. Manche rannten über meine Füße. Der Geruch war beißend, der Boden feucht. Und ich, als westlich geprägter Theologe, empfand zunächst nur eines: Ekel. Aber ich blieb. Vielleicht aus Höflichkeit, vielleicht aus Neugier, vielleicht aus Trotz. Und mit jedem Atemzug – verwirrt, gedämpft, brennend – wich der Ekel einer anderen Regung. Ich begann nicht, die Ratten zu lieben. Aber ich erkannte, dass etwas an meinem Ekel nicht stimmte. Er war ein Reflex, kein Urteil. Und genau in diesem Moment wurde der Ort mir heilig. Nicht schön. Heilig. Heilig, weil die Anwesenheit an diesem Ort meine Kategorien zerlegte. Denn was, wenn Gott nicht nur dort wohnt, wo wi...
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